Reisebericht Mauretanien II - Weltenbummler Shumba - Weltreise mit dem Allrad Reisemobil

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Reisebericht Mauretanien


Teil II - In der Region Adrar





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Teil II >  Tidjikja - Guelb er-Richat - Atar       13.03. - 29.03.2019        1.278 km

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Nach kurzer Orientierung visieren wir erst einmal die örtliche Tankstelle am Ortsausgang an. Ein älterer Herr in einem feinen, hellblauen Gewand, dem Bou-Bou, spricht uns an und bietet seine Hilfe an. Ohne viele Umschweife lädt er uns ein, auf seinem Grundstück direkt hinter der Tankstelle zu übernachten. Er habe dort ein Hotel gebaut, das sei aber noch nicht eröffnet, gerne können wir uns dort aufhalten, Wasser tanken und, wenn wir etwas bräuchten, sollen wir es ihm nur sagen. Am Abend ist das Champions League Spiel FC Bayern gegen Liverpool, ob er denn einen Fernseher habe fragen wir zögerlich. Nein, das hat er nicht, aber er findet eine Lösung. Wir tauschen die Telefonnummern aus und am Abend sitzen wir im Privathaus des Chefarztes der örtlichen Klinik zwischen den männlichen Familienmitgliedern und sehen zu, wie der FC Bayern sang- und klanglos verliert. Schadenfreude ist keine Tugend, die Männer entschuldigen sich fast bei uns, dass ihr Club Liverpool gewonnen hat. Die nächsten beiden Tage nutzen wir zum Wäsche waschen, Emails beantworten, der Versorgung auf dem örtlichen Markt mit frischem Gemüse, Obst und Brot, und wir lassen den defekten Reifen flicken. Dann kann es wieder weitergehen in Richtung Süden, nach Matmata.

Ein unscheinbarer kleiner Abzweig führt von der Teerstraße auf eine enge sandige Piste. Zwei Spuren folgend über Sandfelder, vorbei an kleinen Dörfern, erreichen wir ein größeres Wadi, um gleich danach über große Steinplatten ein Plateau zu queren, von dem wiederum eine grobe Piste erneut hinab in ein Wadi führt, bis es in einem Qued nicht mehr weitergeht.
Es ist ein wunderschöner, offener Übernachtungsplatz, wo wir auf drei französische Land Cruiser treffen. Es sind ältere Herrschaften, die mit einem lokalen Führer sechs Wochen durch Mauretanien unterwegs sind. Sofort werden wir zum Tee eingeladen und es entwickeln sich nette Gespräche. So lernen wir Baba, den Guide, kennen, der uns ohne Umschweife direkt zu sich nach Hause, nach Atar, einlädt.

Am nächsten Morgen verabschiedet sich die französische Gruppe und wir machen uns zu Fuß auf, die berühmten Matmata Krokodile zu finden. Durch tiefen Sand folgen wir einem trockenen Flusslauf, bis wir an einen Abbruch gelangen unter dem ein, von einer Quelle gespeister, See liegt. Etwa 16 Krokodile sonnen sich unter uns am sandigen Ufer des Sees. Sie scheinen etwas kleiner als die Tiere in Tamrout Metrouche, doch nicht weniger faszinierend. Diese Tiere (über-)leben und vermehren sich in der Wüste in einem kleinen See, der während der Trockenzeit immer weniger Wasser hält. Viel tut sich nicht, trotzdem sitzen wir lange in den Felsen und genießen diesen Ort.


Heute gönnen wir uns einen Ruhetag. Die letzten 14 Tage waren doch irgendwie beschwerlich und anstrengend. In aller Ruhe lassen wir den Tag vergehen, tun einfach nichts, beobachten lediglich die paar Kamele und Esel, die an uns vorbeiziehen.

Wieder zurück in Tidjikja, auf „unserem Hotelparkplatz“ beschäftigen uns die notwendigen Kleinigkeiten unseres Alltags, wie Füllen der Wassertanks, Emails, Einkaufen und die restliche Wäsche waschen. Am späten Vormittag machen wir uns auf den Weg nach Norden, nach Atar.

2016 wurde eine neue Teerstraße fertiggestellt, die Tidjikja mit der Provinzhauptstadt Atar verbindet. Nur zu gerne wären wir die legendäre alte Piste gefahren. Doch wie man uns versichert ist diese Piste nicht mehr zu befahren, seit die Teerstraße eröffnet ist, sie ist kaum noch zu finden. Also entscheiden wir uns die neue Teerstrasse zu nehmen.Bereits am ersten Polizeiposten warnt man uns vor vielen und heftigen Sandverwehungen. Wir sollten uns überlegen, ob wir die Strecke wirklich fahren wollen. Natürlich wollen wir! Die Alternative über Nouakchott wäre ein großer Umweg. Sehr bald schon stellt sich heraus, dass die beschriebenen Sandverwehungen wirklich unpassierbar sind. Die daraus resultierenden Ausweichrouten entpuppen sich als wahre „Offroad-Einsätze“, die uns teilweise kilometerlang durchs Gelände und durch fantastische Dünenlandschaften führen. Für uns ist es nicht nachvollziehbar, dass eine neu gebaute Teerstraße zwischen zwei „Hauptstädten“ nicht vom Sand freigehalten wird. So ein Irrsinn! Unserer Meinung nach wäre ein Radlader und ein LKW ausreichend um diese ca. 400km sandfrei zu halten. Von wegen auf Teerstraßen kommt man schnell voran.


Es ist bereits dunkel, wir haben gerade gegessen, alles ist ruhig, als wir plötzlich draußen Stimmen hören. Es sind Nomadenfrauen. Sie kommen, um Dinge aus ihrem Hab und Gut zu verkaufen, und fragen uns nach Arzneien. Zwei junge Frauen haben Babys im Arm. Die beiden Kleinen haben schwerste Bindehautentzündungen, dickflüssiges, gelbes Sekret läuft aus den total verklebten Augen. Mit unseren bescheidenen Mitteln kann ich nur für etwas Linderung sorgen. Zu dritt halten wir die Babys, streichen den schreienden Kindern Salbe in die Augen. Die Tube gebe ich der jungen Frau in die Hand, versuche zu erklären was zu tun ist. Es bleibt die Frage offen, was mit der Salbe passiert, die ich ihr mitgebe. Die Frauen betteln nicht, sie bieten Gegenstände an. Wir kaufen ein paar Kleinigkeiten und schenken Babymützen. Freundlich lachend und winkend verlieren sich ihre Stimmen in der Dunkelheit. Am nächsten Morgen kommen andere junge Frauen. Sie sind weniger freundlich und fragen ziemlich fordernd nach „Cadeau“ (Geschenken). Nachdem sie von uns weder Brillen, Bücher, Stifte oder Süßigkeiten bekommen, zeigen diese uns deutlich ihren Unmut.

Für die Nomaden außerhalb der Städte gibt es keine Versorgung, keine Schulen, keine medizinische Hilfe. In diesem Fall sind die nächsten größeren Städte 200km entfernt und selten besitzen die Familien Fahrzeuge.
Immer wieder fallen uns dunkelhäutige Menschen auf, die bei den hellhäutigen Mauren in einer Art Zweckverbund leben. Es sind die sogenannten Haratin. Es sind Nachfahren ehemaliger Sklaven, meist Wasserträger, Arbeiter, die ein Leben lang in Abhängigkeit gehalten wurden, und deren Rolle innerhalb ihrer Familie vererbt wurde. Diese Haratin verrichten die „niedrigen Arbeiten“ wie Wäsche waschen, Wasser holen, Feldarbeit, Ziegen und Rinder hüten etc.. Offiziell ist die Sklaverei seit 1980 abgeschafft, doch das gesellschaftliche System blieb erhalten und die Dunkelziffer ist nach wie vor sehr hoch.
 
Nach den vielen, vielen Sandverwehungen und hohen Dünen wird die Landschaft allmählich steiniger und felsiger. Wir erreichen die grandiose Berglandschaft der Adrar-Region.


Zwischen hohen Felswänden gelegen liegt die kleine Oase Terjit. Viele kleine Quellen speisen diesen besonderen Ort und machen ihn fruchtbar. Insgesamt ist das Adrargebiet mit all seinen Sehenswürdigkeiten, die Oase Terjit ist eine davon, die Touristenregion in Mauretanien. Für 5 Euro pro Person Eintritt kann man durch die kleine kühle Schlucht entlang einem langsam dahinmäandernden Bach spazieren und sich erfrischen. Eigentlich ein schöner Ort. Doch nachdem man uns für einen Nachtparkplatz noch zusätzlich €5 „abziehen“ will, verlassen wir Terjit noch am Abend in Richtung Atar. Auf einem Steinplateau unweit der Straße finden wir einen schönen geschützten Platz.

Atar, die Provinzhauptstadt dieser Region ist „die“ Tourismusstadt in Mauretanien. Als 2007 vier französische Besucher im Osten des Landes ermordet wurden, brach der Tourismus ein. Mittlerweile landet in der weniger heißen Wintersaison wieder jede Woche sonntags ein Flieger aus Paris auf dem kleinen Flughafen. Es kommen vereinzelt wieder Urlauber, hauptsächlich aus Frankreich.

Eine breite Wellblechpiste führt aus der Stadt hinaus in Richtung Osten zum steilen Ebnou Pass auf das über 700 Meter gelegene Adrar Plateau. Von hier „fliegen“ wir regelrecht über tiefes Wellblech und sonstige Bodenwellen, immer versucht die richtige Geschwindigkeit zu halten. Erst ab ca. 80km/h fährt man nicht mehr jedes Wellental aus sondern springt von Wellenkamm zu Wellenkamm. Lustig ist das nicht, es erfordert höchste Konzentration. Das schreckliche, ohrenbetäubende Gerüttel verlangt Mensch und Material alles ab.  
 
Auf der weiten steinigen Hochebene gibt es außer ein paar Nomadenzelten und Ziegen nichts zu sehen. Sehr bald stellen sich Fragen ein „Warum tut man sich und dem Fahrzeug das eigentlich an?“ Wofür? Wird es sich lohnen? Wortkarg, stets auf die Geräusche des Fahrzeuges hörend, bringen wir die zwei Stunden Fahrt bis nach Ouadane hinter uns. Als wir im Hintergrund der Oase die goldenen Dünen des großen Ouadane Sandmeeres, das bis nach Mali reicht, hervorblitzen sehen, atmen wir erleichtert durch. Offensichtlich ist alles gut gegangen. Wow – ist das schön hier! Genau deswegen tut man sich das an.
 
Wir lassen die historische Stadt Ouadane links liegen und fahren durch Palmenhaine und weite Tiefsandfelder weiter in Richtung Guelb er-Richat. Guelb er-Richat ist das „Auge der Sahara“ auch „Ochsenauge“ genannt, ein Krater mit 40km Durchmesser, der sogar aus dem All zu sehen ist. In diesem abgelegenen Gebiet leben viele Nomaden. Mit den üblichen „Cadeau! Cadeau!“ Rufen laufen sie uns entgegen. Manchmal nervt es schon.

Wir queren ein steiniges, mit Akazienbäumen bewachsenes, Qued, viele Spuren der Nomaden und ihrer Tiere machen die Orientierung schwierig. Bevor es weiter, in den Krater hineingeht, haben Frauen direkt am Weg „Verkaufsplätze“ aufgebaut, d.h. sie breiten Sammlerstücke und Handwerkliches aus Sandstein auf Tüchern aus, um es an Touristen zu verkaufen und so etwas zum Lebensunterhalt der Familien beizutragen. Zur Mittagszeit erreichen wir den zentralen Punkt des Kraters. Wir stehen gerade, als hinter uns ein Pickup mit 3 jungen Männern samt Guide und Koch anhält. Einer der jungen Männer kommt aus New York, die anderen beiden sind aus München. Nach dem Essen sitzen wir gemütlich zusammen und trinken Tee nach guter mauretanischer Sitte. Dabei ergeben sich interessante Gespräche. Doch die drei sind in Eile, ihr nächster Stopp wartet. Wir fahren weiter um den Krater vollends zu umrunden.


In dieser Gegend ist ein Übernachtungsplatz schnell gefunden. Von den Bewohnern der umliegenden Nomadenzelte bleiben wir nicht ungesehen. Schon bald nähern sich zwei Männer. Sie begrüßen uns als ihre Gäste und stellen sich vor. Der eine, Salima, spricht sogar ein klein wenig Englisch und lädt uns für den nächsten Morgen zum Tee ein. Gerne nehmen wir an. Mariam, Salima‘s Frau, kocht Tee zu dem wir frisch gebackenes Brot und Dattelpaste serviert bekommen. Bald sitzen die Mütter der beiden und weitere junge Frauen bei uns, die Kinder springen fröhlich umher, alle reden durcheinander. Alles ganz normal. Es ist eine sehr sympathische Familie. Die Zeit vergeht wie im Flug. Als wir aufbrechen nehmen wir Salima‘s Mehari mit nach Ouadane, er lebt mit seiner Familie im Dorf.

Ouadane, die Altstadt, bzw. die davon erhaltenen Ruinen beeindrucken uns. Allein die Größe der ehemaligen Karawanenstadt lässt ihre Wichtigkeit in früherer Zeit erahnen. Es war einst eine der wichtigsten Handelsstädte auf dem Weg nach Süden und Umschlagplatz für allerhand Waren, bis sich die Sahararouten weiter nach Osten, in Richtung Timbuktu, verlagerten . Heute leben in der neuen Stadt, oberhalb der Ruinen, nur ein paar hundert Menschen, meist Nomaden. Viele der Familien kommen nur zur Dattelernte in die Oase, das erklärt die vielen leerstehenden Häuser. Viele hier hoffen auf einen neuen touristischen Aufschwung.

Nach ausgiebiger Besichtigungstour durch die Ruinen machen wir uns auf den Weg durch die Dünen in Richtung Chinguetti. Auf der Strecke liegt Tanouchert, eine kleine Datteloase in der circa 15 Familien permanent, und zur Erntezeit um die 40 Familien, wohnen. An einem Zelt am Ortsausgang legen wir eine Rast ein, trinken Tee und bestellen Kameltajine mit Couscous und Gemüse. Während wir durch die Oase schlendern, wird das Essen für uns gekocht. In dieser Region ist man an Touristen gewöhnt, Chinguetti ist das Touristenmagnet schlechthin und Tanouchert liegt nicht weit entfernt. Bevor wir aufbrechen, öffnet die „Herrin der Zelte“ dann noch ihren obligaten „Verkaufsstand“ mit viel Krusch und Unbrauchbarem. Der weitere Weg ist dank vieler Spuren gut erkennbar. Langsam und gleichmäßig wühlen wir uns Kilometer für Kilometer durch den tiefen Sand. Es ist bewölkt, bei dem diffusen Licht sind Unebenheiten im Gelände nur schwer zu sehen, was folglich unweigerlich zu dem einen oder anderen ungewollten „Hopser“führt.


Vor Chinguetti verbringen wir die Nacht am Fuss der höchsten Düne im Osten der Stadt. Und welch seltenes Erlebnis, es fängt doch tatsächlich an zu regnen, zwar nur leicht, aber immer wieder. Am nächsten Morgen vertreibt die Sonne die Wolken und nach und nach erscheint der blaue Himmel. Hinter den Dünen und am Rande des Queds sehen wir ein paar, halb von der Wüste verschluckte Palmenhaine. Mit solchen kleinen Gärten stemmen sich die Bewohner Chinguettis gegen die nahende Sandflut. Vergeblich. Chinguetti ist das kulturelle Herz Mauretaniens, Weltkulturerbe, siebt heiligste Stätte des Islam, und es wird von der Wüste gefressen.

Als wir in die Altstadt kommen, werden wir sofort von Frauen und Kindern umzingelt. Die einen wollen Geschenke, die anderen wollen etwas verkaufen. Alle reden lautstark durcheinander. Auf unserer Besichtigungsrunde ziehen wir einen Schwarm plappernder und bettelnder Frauen und Kinder hinter uns her. Alle versuchen irgendwie an Geld zu kommen. Es ist leider nervig, wir drehen daher nur eine kleine Runde. Beeindruckend ist es schon, zu sehen, wie die Stadt vom Sand immer wieder frei gelegt wird.

Doch "le sabble mange tout", der Sand frisst alles. So lautet ein geflügeltes Wort in Chinguetti. Die Ausbreitung der Wüste ist wirklich eine Gefahr. Jedes Jahr rückt sie 5 bis 6 Kilometer vor. Unter dem Druck der Sandmassen stürzen die Mauern der Häuser ein. Ständige Neubauten kann sich kaum einer der 1500 Bewohner Chinguettis leisten. Viele Menschen ziehen weg. Das Phänomen der Wüstenbildung gab es früher hier so nicht. Da gab es 32 Kilometer Palmenhaine, jetzt ist die Wüste auf beiden Seiten der Stadt bis auf nicht mal einen Kilometer herangerückt. Es ist ein neues Phänomen, das so erst seit einigen Jahren existiert, beeinflusst durch den Klimawandel steigen die Temperaturen und die Brunnen trocknen aus.


Seit 1996 ist die Stadt Weltkulturerbe der UNESCO. Denn diese, von oben recht unscheinbar wirkende, Ansammlung meist verfallener Häuser beherbergt die weltbekannten Wüstenbibliotheken der arabischen Vorväter. Früher gab es 30 solcher Bibliotheken, jetzt sind es noch 12 bis 15, so genau weiß man das nicht.   

Die Oase von Chinguetti war, wie Ouadane und Oualata, bis in die Neuzeit ein Karawanenzentrum, Handelsposten in der Sahara, letzte große Etappe vor der 700 Kilometer langen Reise bis zur Atlantik-Küste im Westen, Tor zur Wüste nach Osten hin, bis in den Sudan, bis nach Mekka. Von hier brachen Kamelherden mit bis zu 30.000 Tieren auf in Richtung des sagenumwobenen Timbuktu. Hier sammelten sich die Pilger aus dem letzten Zipfel des Maghreb vor ihrer gemeinsamen Reise nach Mekka. Ein Meer von Grabsteinen am Rande Chinguettis bezeugt heute noch die einstige Größe. Die Grabsteine bezeugen auch, dass viele der frommen Pilger in Chinguetti ihre letzte Ruhestätte fanden. Die heiligen Schriften, die sie auf ihren Reisen erworben hatten und die sie mit sich brachten, füllten die Bibliotheken der Stadt. Italienisches Papier aus dem 15. Jahrhundert, beschrieben in Usbekistan, erworben in Kairo, archiviert in Chinguetti, für die Kulturgeschichte des Islam hütet diese Stadt Quellen von unschätzbarem Wert.

Für die Wüstenbewohner waren die Bücher ein Zeichen für den Bildungsstand und ihren Reichtum, darüber hinaus auch geistige Nahrung. Vor 500 Jahren war eine teure Handschrift ein Prestigesymbol. Seit dem Mittelalter sammelten einzelne Familien Chinguetties in eigenen Bibliotheken Handschriften, Bücher, später auch Druckerzeugnisse. Die berühmten Sammlungen sind bis heute der Schatz ihrer Eigentümer, ein Weltkulturerbe in Privatbesitz. Aber es ist akut bedroht. Diese Stadt und ihre Schätze sind ein Beispiel dafür, wie mangelnde Staatlichkeit, Gleichgültigkeit und Terror die kulturelle Identität einer ganzen Nation gefährden.

Wir besuchen so eine Bibliothek. Der ehemalige Grundschullehrer Saif, wacht über die rund 700 Werke, die seine Familie über Generationen zusammengetragen hat, vom Mittelalter bis heute. Saif wählt eines seiner Prunkstücke und hebt an, mit ausladenden Gesten die Geschichte der Bibliothek und seiner Bücher vorzutragen. Leider ist unser Französisch für derlei Vorträge nicht gut genug.

Auch Astronomie, Technik, Medizin und Pflanzenkunde gehören zu den in Chinguetti überlieferten Zeugnissen der arabischen Aufklärung. Doch das Gros der Handschriften und Bücher in Chinguetti beschäftigt sich mit dem Propheten Mohammed, dem Islam und der Auslegung der heiligen Schriften. Oft sind die Werke mit farbigen Miniaturen, Zeichnungen, Symbolen in rot, grün oder gold geschmückt. Es findet sich da ein Baum der Weisheit, eine Sternenkarte, solche Bücher galten als ganz besonderer Luxus, denn Papier und Tinte waren kostbar. Verschiedene Tintenfässchen gehören ebenfalls zur Ausstellung in Saifs Bibliothek, und er kann auch erklären, wie all die kostbaren Bücher zustande kamen. Aus Gummi arabicum, Kohlenstaub und Wasser mischten die Vorväter ihre Tinte und schrieben damit Korantexte ab.


Das Bibliotheksgebäude liegt unscheinbar in einer schmalen Gasse. Mit Hilfe ausländischer Geber wurde der unverputzte Steinbau renoviert. Doch das Innere ist ein staubiges Sammelsurium angenagter und fleckiger Papierstapel. Der Glastresen ist zerbrochen, vom handtellergroßen Gedichtband bis zum schweren Lederschinken sind alle Bücher durch Eselsohren, Schimmelflecken und Risse verunstaltet. Nicht einmal ein Verzeichnis gibt es, kein Register, keine Kopien, nichts, was auf professionelle Standards einer historischen Bibliothek hinweisen könnte. Saif weist darauf hin, dass manche der Bibliotheken, von ihren Eigentümern aufgegeben und unter Sand begraben, ein sehr viel schlimmeres Schicksal erlitten hätten.

Geplant war, dass die Familien ihre Schätze einer zentralen Bibliothek in Chinguetti anvertrauen. Und tatsächlich hat die UNESCO solch ein Haus schon gebaut. Doch davor steht nur ein Esel, an der Tür hängt kein Schild, und kein Buch hat seinen Weg in die Ausstellungsräume gefunden. Schon nagt der Sand an dem verwaisten Bau. Die meisten Eigentümer der Bibliotheken von Chinguetti wollen sich von ihren Besitztümern nicht trennen, schließlich war es bislang eine gute Einnahmequelle und es sind emotionale Werte, weil sie vom Vater oder Großvater übernommen wurden.

Die Straße zurück nach Atar ist ab hier Einiges besser, längst nicht so holprig und so sind wir am frühen Nachmittag wieder zurück in der Stadt. Nachdem wir an einem kleinen Friedhof unseren Wassertank gefüllt haben, fahren wir zum Flughafen. Dort wollen wir morgen, am Sonntag, unser Visum verlängern lassen. Ein Übernachtungsplatz in der Nähe ist schnell gefunden und um 06.30 Uhr morgens fahren wir pünktlich zum Flughafen. Doch die Fakten haben sich geändert, der Flieger aus Paris kommt erst am Nachmittag, aber man erlaubt uns auf dem Flughafengelände zu warten. Die Herren am Zufahrtstor sind echt bemüht. Ein paar Telefonate und eine Stunde später sitzen wir in der Ankunftshalle am Schalter der Immigration und erhalten, wie selbstverständlich, ein neues 30 Tage Visum, und das sogar kostenlos. In Mauretanien ist alles „pas de problem“.

Am Abend treffen wir uns mit Baba, den wir in Matmata kennengelernt haben. Vor seinem Haus können wir gut und sicher übernachten. Sein Haus ist eigentlich noch ein Rohbau, bestehend aus zwei Zimmern und einer Küche. Immer wenn er eine kleine Summe angespart hat, baut er an seinem Haus weiter. Stolz zeigt er uns alles, wir sollen uns wie zuhause fühlen.

Klaus nutzt den Aufenthalt auch, um endlich mal wieder das Fahrzeug unter die Lupe zu nehmen. Und bevor er etwas erklären kann, höre ich ihn unter dem Auto schon fluchen und schimpfen. Er hat einige Schäden am Fahrzeug entdeckt. Eine Quertraverse des Rahmens, sowie eine Lagerung des Koffers sind durchgebrochen, die Halterung des Gastanks und die Halterung des Dieseltanks sind ebenfalls ab. Die letzten Wochen und Monate sind gravierend ans Material gegangen. Was tun ist die Frage?

Wir besprechen uns mit Baba, wohlwissend, dass wir hier in Atar keine Profiwerkstätten finden können. Er empfiehlt uns einen guten Schweißer und gleich am nächsten Morgen bringt er uns hin. Es wird ausführlich begutachtet, Klaus will natürlich verstehen, was, und vor allem wie repariert wird. Doch irgendwie lassen sie sich nicht so recht in die Karten schauen. Getreu dem Motto: entweder du hast Vertrauen oder du gehst wieder. Nach einigen Preisverhandlungen lassen wir uns auf die Reparatur ein. Es bleibt uns ja keine Wahl, wir brauchen eine Lösung, die uns wenigstens ermöglicht in bessere Werkstätten nach Marokko zu kommen.

So verbringen wir zwei Tage vor der Werkstatt, bis alles soweit geschweißt und wieder montiert ist. Zu allem Unglück fabriziert Klaus beim Wiederanschließen der Aufbaubatterien einen Kurzen. Ein paar LED Lampen und der Kühlschrank geben aufgrund dessen ihren Geist auf. Gottseidank können wir unseren Gefrierschrank zur Kühlbox umfunktionieren. Doch dieser Umstand zwingt uns, noch ein paar Tage länger in Atar zu bleiben. Also leben wir ein paar Tage auf einer ungemütlichen Baustelle, bis alles wieder richtig angeschlossen ist und funktioniert. So zu reisen heißt eben auch flexibel zu sein.

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